Der Zug des Lebens

 

Wir werden eines Tages wiederkehren an jenen Anfangsort, gleich wo er sei.

 

In der Zwischenzeit fährt der Zug unerschütterlich auf einem noch jungfräulichen Weg, er fährt und näht, näht schmerzende Risse, abgenutzte, fast unheilbare Flickstellen, näht und verschlingt Luft und Erinnerungen mit widerhallenden Kreischen.

 

Er gleitet über glänzenden Marmor, tanzt leichtfüßig, simuliert Pirouetten auf geschwungenen Gleisen, die schwindelerregend zwischen Fels und Wasser schweben, durchquert Hohlräume im Rhythmus eines Kontrabasses – mit jeder Note ein Schattenherzschlag, eine neue Vibration.

 

Langsam oder wild, fährt er weiter in irreversiblen Richtungen.

 

Dort drinnen dehnt sich die Zeit, beugt sich, verkürzt sich zwischen den Stoffen der Sitze.

 

Dort drinnen verlieren wir uns in Erfahrungsaustausch, gemacht aus flüchtigen Blicken, den Gesichtern an die Scheiben gedrückt, zwischen Olivenbäumen, einsamen Antennen, Bänken und Stufen, wo uns noch der frische Geruch von gebranntem Kalk erreicht.

 

Dort drinnen spricht niemand.

 

Einander gegenüber, nebeneinander – zufällige und ahnungslose Fahrgäste wir, wie die Waggons, die uns begleiten auf Gleisen, die sich über Brücken, Ebenen und Hügel ausrollen.

 

Dort drinnen spricht niemand. Nur der Zug erzählt.

 

Er erzählt von mühsamen Unternehmungen, gefährlichen Abenteuern, zermürbenden Kämpfen. Er erzählt und verspottet uns – unsere Unwissenheit und Überheblichkeit, die zur Schau gestellte falsche Nachsicht anstelle verschwörerischer Intrigen, die nach Rache duften.

 

Er flüstert und rührt durch nie gezeigte Bewunderungen, solidarische Umarmungen, stille Opfer, gebracht im Namen geheimer Lieben. Er spricht mit uns und über uns. Spricht von Händen und Augen, die sich suchen und im Dunkeln erkennen – und dann verlieren, spricht von plötzlichen Impulsen und tief vergrabenen Ängsten. Er ruft den Schmerz des Verlusts hervor, Leere und Verlorenheit, die stechende Sehnsucht nach goldenen Weiten und kristallklarem Wasser. Singt der Zug, singt die Freude – wahr und selten – geteilter Siege, wiedergefundener Zärtlichkeiten, enthüllter Wahrheiten und endloser Küsse.

 

Dort drinnen spricht niemand.

 

Nur der Zug erzählt. Er erzählt uns und über uns – von verpassten Aufbrüchen, stummen Abschieden, ersehnten Heimkehrten, gestohlenen Worten und Briefen.

 

Er fährt und erzählt, erzählt und fährt weiter –und wir, vielleicht am Ursprungsort, wo auch immer er sei.